TV-Köchin Sarah Wiener: In Japan gibts kein richtiges Sushi!

Ab und an schaue ich mir gerne japanische Serien auf Netflix an, um meine Sprachkenntnisse zu verbessern. Und als ich alle Folgen „Samurai Gourmet“ rauf und runter genudelt hatte, schlug mir der mich umsorgende Netflix-Algorithmus die kulinarischen Asien-Abenteuer von Sarah Wiener vor. Gut, irgendwie lief der Kram ja schon mal vor einiger Zeit bei Arte, aber Netflix ist ja einfach die Verführung schlechthin, wenn es ums Binge-Watchen geht.

Um was gehts in der Serie?

Die von Fernweh geplagte Promi-Köchin Sarah Wiener bestellt sich unterschiedliches asiatisches Bringdienst-Essen in ihre geräumige Altbau-Wohnung, probiert einen Happen und stellt sich dann eine essentielle Frage zu landestypischer Zubereitung, Herkunft, Zutaten etc. Wissenshungrig macht sie sich kurzentschlossen auf den Weg nach Indien, Vietnam, China und Japan, um der Sache auf den Grund zu gehen. Ausgestattet mit einer Polaroid-Kamera, deren Bilder konsequent missraten und einer Portion Neugier erkundet Wiener nun die fernöstliche Food-Hemisphäre.

Die zentralen Fragen der Japan/Sushi Folge lauten: Essen die Japaner eigentlich Sushi wie wir? Und was ist eigentlich Sushi?“

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Wieners Bestellung beim Bringdienst: Maki, Nigiri, Inside-Out-Rolle. Aber ist das echtes Sushi?

Die erste Frage kann ich hier schon mal mit einem klaren „Ja, es gibt Unterschiede.“ beantworten. Hier gibts einen Blogpost dazu. Aber in erster Linie wäre es hilfreich gewesen, wenn Wiener mal die richtige Handhabung von Stäbchen gegoogelt hätte, denn die ist in sämtlichen Asien-Folgen katastrophal. Nicht nur, dass es wahnsinnig ungelenk ausschaut, es funktioniert einfach nicht. Wiener fuchtelt mit den Stäbchen herum, hält sie krumm bis verkrampft, sodass es nahezu unmöglich scheint, dass sie wirklich mit dieser Methode eine ganze Portion Essen in sich hinein spachteln kann.

Bei genauer Betrachtung ist dieses „Essen die Japaner eigentlich Sushi wie wir?“ eine selten ungeschickt gestellte Frage. Mitteleuropa ist nunmal nicht das Epizentrum für Sushi und setzt dementsprechend keine Massstäbe, was den authentischen Verzehr von Sushi betrifft. Müsste es nicht „Essen wir eigentlich Sushi wie die Japaner?“ heissen?

Kurzum: Geht man in Europa Sushi essen, so ist es keine Seltenheit auf der Karte auch Sommerrollen, Hühnerspiesse oder Soba-Nudeln vorzufinden. Das habe ich in Japan so noch nie gesehen. Sommerrollen gibts dort beim Vietnamesen, Hühnerspiesse im Yakitori oder Izakaya und Soba in der Sobaya. Alles schön nach der jeweiligen Kochdisziplin geordnet.

Ja, was ist jetzt eigentlich Sushi? Kurz gesagt: Ein Sammelbegriff für meist rohen Fisch oder andere schmackhafte Auflagen auf gesäuerten Klebreis. Punkt.

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Sarah Wiener in Japan: Lost in Translation, really?

Feingemacht im Dindl begibt sich Wiener nun auf Sushi-Forschungsreise nach Gobō, einem kleinen Örtchen in der Präfektur Wakayama. Dort besucht sie eine Markthalle, die aussieht wie Markthallen nun mal aussehen. In einer Halle verkaufen Händler ihre frische Ware an Ständen. Erstaunt stellt Wiener fest: „Nanu, das sieht ja eher aus, wie ein Supermarkt.“ Also, mein Edeka sieht anders aus. Fakt ist: Japanische Supermärkte sind bis auf das Sortiment, minimale Unterschiede bei Kassensystemen oder Grösse der Einkaufswagen den europäischen sehr ähnlich: Regale mit abgepackten Lebensmitteln, eine Frische-Abteilung, Getränke, Kasse. Fertig. 

Doch das erste absolute Highlight der Episode lässt nicht lange auf sich warten. „Am Ende der Halle wird der Fisch frisch zubereitet – doch nach Sushi fragt man hier vergeblich!“

Ja, absolut richtig. Ein Fischverkäufer ist eben kein Sushi-Meister. Ganz einfach.

Während der Verkäufer fachkundig den Fisch zerlegt, erkundigt sich Wiener, was denn dann daraus wird, wenn das denn nun kein Sushi sei. „Sashimi“ entgegnet der Verkäufer und die enttäuschte Wiener probiert ein paar rohe Fischhappen.

Kleine Warenkunde: Sashimi – roher Fisch, ohne Reis.

Die ganze Szene ist so merkwürdig, dass ich mich ersthaft frage, was sowas soll? Mal angenommen, ich gehe in einen Obst und Gemüse-Laden in Berlin und frage nach Apfelkuchen und mir werden dann frisch aufgeschnittene Apfelspalten gereicht, wäre ich dann auch enttäuscht? Nein, ich müsste nur einfach in eine Konditorei gehen, wenn ich Apfelkuchen essen möchte.

Diese Szene hat jedenfalls eine Schlüsselfunktion, da hier eine falsche Fährte in Sachen Dramaturgie gelegt wird: Der Zuschauer soll annehmen, dass es „das richtige Sushi“, also so, wie wir es vom Bringdienst kennen, in Japan gar nicht existiert. Was natürlich Unfug ist, denn bereits auf ihrer Anreise dürften Wiener unzählige Sushi-Läden über den Weg gelaufen sein. Und falls nicht, hätte Google Maps auch für ausreichend Treffer gesorgt.

Ursprung gleich Tradition?

Auf der Suche nach dem „mega-echten traditionellen Sushi“ taucht Wiener in die Narezushi-Produktion ein. Was ist das genau? Das sind Päckchen mit fermentierten Reis und Fisch. Diese Methode stammt aus China und war vor langer Zeit üblich, um so Fisch ohne Kühlung haltbar zu machen – ist also streng genommen nichts, was in Japan erfunden worden wäre.

Narezushi scheint jedenfalls nicht Wieners Geschmacksnerv zu treffen und sie ermahnt die Zuschauer: „Jeder der behauptet, er isst wirklich gerne traditionelles Sushi, dem schlage ich vor: Komm her, probiere es und sage mir das dann noch mal ins Gesicht!“ Gehts noch??? Ich sage: „Sarah, geh doch erst mal in einen Sushi-Laden mit einem Sushi-Meister drin, der das Handwerk viele Jahre gelernt hat. Davon gibts unzählige in Nippon. Übrigens kannst du Sushi auch mit den Fingern essen, wenns mit den Stäbchen nicht klappt. Kein Problem in Japan!“

Wiener Japan

Im letzten Kapitel der Episode wird die wilde These, dass es in Japan kein „richtiges Sushi“ gäbe auf den Höhepunkt getrieben. Wiener trifft sich mit „DEM Koch“ in Gobō (er wird nicht Sushi-Meister betitelt) , über den folgendes gesagt wird:

„In seinem Restaurant bereitet er zu, was die meisten Europäer für Sushi halten, tatsächlich aber Sashimi ist.“

Sind wir doch mal ehrlich: In eigentlich allen europäischen Sushi-Restaurants kann man auch Sashimi bestellen. Das ist doch nichts Neues. Wirklich abenteuerlich ist nur, dass die Begriffe Sashimi und Sushi turbulent durcheinander gewirbelt werden. Was Wiener konsequent nicht zeigt, ist dass das Nigiri-Sushi durchaus an jeder Ecke Japans zu haben ist, genau wie Maki-Rollen, etc…

Das Bild stammt aus Tokyo. Wie jetzt? Sushi in Japan?

Fassen wir noch mal zusammen. Die gewagte These lautet: In Japan gibts kein richtiges Sushi. Was ist nun richtiges Sushi? Wenn wir die Bringdienst-Bestellung als handfeste kulinarische Referenz betrachten, dann meint Wiener damit wohl vor allem Nigiri. Dem Zuschauer wird dann allerdings fermentiertes Narezushi als DAS traditionelle Sushi präsentiert. Und ansonsten gibts in Japan nur Sashimi – jedenfalls erfährt Wiener das aus erster Hand, nämlich von einem Pro, der ein Restaurant führt. Wer denkt sich sowas aus?

Wie wir alle wissen, stammt Döner ja auch nicht aus der Türkei, sondern wurde von Gastarbeitern erfunden. Und auch die Pizza Hawaii ist ebenfalls eine Schöpfung jenseits des Pazifiks. Irgendwie erweckt diese „In Japan gibts kein Sushi“ -Lüge den Anschein, dass Wiener versucht, auf genau diesen Zug aufzuspringen und den Leuten in Europa mal die Wahrheit sagen zu wollen: „Hey, Sushi ist eine europäische Erfindung. In Japan gibts nur Sashimi. Oder Narezushi.“

Fazit: Ich kann kaum glauben, dass Wiener das ernst meint. Immerhin ist sie Profi-Köchin und erfolgreiche Unternehmerin. Ist dann das Drehbuch schuld? Keine Ahnung. Ich weiss nur eins: Sushi gibts wirklich in Japan. Selber schon gegessen. Gibts an jeder Ecke. 

Die kulinarischen Abenteuer der Sarah Wiener in Asien. Japan und Sushi. Auf Netflix.

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Und hier gehts zum Ramen-Meister in Tokyo.

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